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Warum ich immer noch keine spiegellose Vollformatkamera kaufe

DON’T BELIEVE THE HYPE

Mein Artikel zum Hype um Kameras wie der Sony α 7 ist mittlerweile über 2 Jahre alt. Zeit zum Auffrischen also. Vielleicht haben mich die Hersteller der angesagten, modernen Technik mittlerweile umgestimmt. Hier der alte Artikel: https://www.lichtkunstfoto.de/warum-ich-keine-spiegellose-vollformat-kamera-kaufen-werde/

Ich bin natürlich kein Maßstab weil ich nicht alles sofort kaufen muss was vermeintlich neu und chic ist. Ich hinterfrage viele Dinge, die die meisten Zeitgenossen (erst einmal) als gegeben hinnehmen. Meist genügt es schon irgendwelche „Wahrheiten“ oft genug zu wiederholen. Viele „Fachzeitschriften“ und „Experten“ im Internet übernehmen die blumigen Versprechen der Hersteller meist recht unkritisch. Aber ich schweife ab… Zurück zur Technik.

Um es mal gleich vorweg zu nehmen, ich renne immer noch mit Nikon D750, D300 und D300s durch die Gegend. Aber vielleicht kommt irgendwann die Zeit des Wechsels auf die Kamera ohne Spiegel. So langsam geht die Entwicklung dieser Kameras jedenfalls in die richtige Richtung. Bei den spiegellosen Nikons kann ich zumindest den elektronischen Sucher und die Hintergrundbeleuchtung des Displays ausschalten. Das Display der Sony α 7RIII  hat während der langen Belichtung die gesamte Zeit über lustig geleuchtet und somit den Akku leer gelutscht und das Gehäuse unnötig erwärmt. Für Langzeitbelichtung und Light Painting ist so etwas völlig ungeeignet.

WAS GIBT ES NEUES?

Mittlerweile sind die Freunde im Sonderbezirk 千代田区 aus dem Koma erwacht und bauen mit der Z6 und Z7 zwei ähnlich „coole“ Kameras wie der Mitbewerber Sony. Alles was Sony bei den α 7 Modellen falsch gemacht hat versuchen sie besser zu machen. An einigen Punkten gelingt ihnen das sogar. Auch der Platzhirsch Canon baut mittlerweile Kameras ohne optischen Sucher und Spiegel. Bisher hatte ich noch keine Canon R in der Hand, ich kann also über diese Kameras nicht viel Erhellendes berichten. 

Die Z6 und Z7 fühlen sich gut an. Die Bedienung ist, im Gegensatz zu den vielen Merkwürdigkeiten der Sony-Kameras, gewohnt gut und durchdacht. Jeder Nikon Fotograf dürfte kaum Schwierigkeiten beim Umstieg von der DSLR auf die neuen Kameras haben. Die Ausstattung ist gut. Einzig, dass man ausschließlich eine XQD Karte zum Speichern der Bilder verwenden kann ist ärgerlich. Platz für ein zweites Kartenfach für SD-Karten wäre sicher vorhanden, so klein ist das Gehäuse ja nun auch nicht.

LOHNT SICH DIE ANSCHAFFUNG DES NEUEN SYSTEMS?

Für die Nikon Z6 gestaltet sich der Vergleich für mich recht einfach weil ich aktuell meist mit der D750 arbeite. Bisher hatte ich noch keine Möglichkeit die Z6 ausgiebig zu testen, die meisten Aspekte lassen sich aber auch ohne Langzeitstudie gut vergleichen. In der Z6 ist der gleiche Sensor wie in der D750 verbaut, die Z7 wird mit dem Sensor der D850 bestückt. Ich habe also höchstwahrscheinlich keine Vorteile was die Bildqualität anbelangt. Vermutlich wird sogar das Bildrauschen etwas stärker ausgeprägt sein weil die etwas kleineren Gehäuse die Wärme nicht so gut vom Sensor ableiten können wie die dicken DSLR’s.

Die Z6 wiegt laut Hersteller inkl. Akku und Speicherkarte 675g. Um meine Objektive am neuen System nutzen zu können bräuchte ich den FTZ Adapter, dieser wiegt 136g. Macht zusammen 811g. Die Nikon D750 wiegt laut Hersteller inklusive Akku und Speicherkarten 840g. Sagenhafte 29 Gramm weniger im Fotorucksack! 

Die Größe der Z6 ist mit 100,5 x 134 x 67,5 mm angeben, die D750 ist mit 113 x 140 x 78 mm etwas größer. Mehr freien Platz im Fotorucksack verschafft mir das allerdings nicht, schon gar nicht, wenn der Adapter montiert ist. Dann wird die Z6 plötzlich sogar „dicker“ als die DSLR. An diesem Punkt habe ich also nicht geringsten Vorteil. 

Beim Vergleich der Z7 mit der D850 sieht es ein wenig anders aus. Die D850 ist ca. 160g schwerer als die D750. Nikon Z6 und Z7 wiegen das Gleiche. Aber auch hier reden wir von einer Erleichterung für den Rücken von nur knapp unter 200 Gramm. Das ist für mich kein Argument um 3000€ in die Hand zu nehmen.

Mein Hauptkritikpunkt damals war ja die sehr kurze Akkulaufzeit der Sony α 7. Nikon gibt vorsichtshalber für die Z6 und Z7 keine Akkulaufzeit an. Die CIPA testet alle Kameras nach einem standardisierten Verfahren auf die Akkulaufzeit. Für die Z6 schafften die Herrschaften 330 Auslösungen mit dem frisch geladenen Akku. An der D750 konnten die Freunde 1230 mal auf den Auslöser drücken bevor der Strom alle war. In beiden Kameras steckt der gleiche Akku. Demzufolge ist der Stromverbrauch der Spiegellosen viel höher. Und weil die Technik keinen Wirkungsgrad von 100% hat wird zwangsläufig mehr Wärme produziert, was dann höchstwahrscheinlich stärkeres Bildrauschen zur Folge hat. Im Falle der letztens von mir ausgiebig getesteten Sony α 7RIII war das zumindest so. Für die meisten Fotografen dürfte das keine Rolle spielen, unter normalen Bedingungen werden auch deutlich mehr als 330 Aufnahmen mit der Z6 gelingen. Für Langzeitbelichtung und Light Painting ist das allerdings ein wichtiger Aspekt bei der Auswahl der „richtigen“ Kamera. Die Sony α 7RIII signalisierte mir nach 3 Aufnahmen mit 10 Minuten Belichtungszeit, dass sie einen neuen Akku haben will. Die Gefahr, dass der Akku während der Langzeitbelichtung schlapp macht ist also viel größer als bei der DSLR. 

Alle anderen Aspekte wie den elektronischen Sucher lasse ich hier mal unbeachtet weil sie keine große Bedeutung für die Arbeit im Light Painting haben.

Ach ja, da war ja noch was… der Preis. Die Z6 kostet inkl. Adapter aktuell bei Amazon  1799€, die D750 mit 1169€ über 600€ weniger. Auf Grund der kurzen Akkulaufzeit wird dann die Anschaffung von 1 oder besser 2 Reserveakkus notwendig; nochmal 150€. Dazu kommen dann noch ca. 150€ für die 64GB XQD-Speicherkarte, eine zweite als Reserve wäre sicher auch ganz gut. Wer sehr viele Bilder knipst wird vielleicht sogar die Variante mit 120GB für stolze 235€ in die Kamera stecken wollen. Zum Vergleich: gute SD-Karten mit 64GB kosten aktuell ca. 20€, die Exemplare mit doppelter Kapazität kosten auch das Doppelte, also ca. 40€.

Spätestens hier bin ich raus. Für den Mehrpreis kann ich ’ne zweite D750 kaufen oder ein gutes Objektiv oder 87 Kästen Bier… Der Hersteller lässt den mechanisch aufwendigen Spiegel weg und die Kamera ist trotzdem teurer? Aber so funktioniert das im Kapitalismus, der Preis wird erst gesenkt wenn erheblich weniger Exemplare verkauft als hergestellt werden.

Beim zweiten Vergleich sieht es etwas besser für die Systemkamera ohne Spiegel aus. Die Z7 bevorratet der Onlinedealer zum Preis von aktuell 3009€, die D850 wechselt für ca. 70€ weniger den Besitzer. Insgesamt (Akkus, Speicherkarten) ergibt sich aber immer noch ein Mehrpreis im dreistelligen Eurobereich. Und wofür? Nur um das neuste Modell sein eigen zu nennen? Um das Beste zu haben, ohne die Möglichkeiten der alten Kamera auch nur ein einziges Mal annähernd ausgeschöpft zu haben? Da warte ich lieber ab bis die spiegellose Systemkamera nur noch halb so viel kostet wie die vergleichbare DSLR… wenn dann der Hersteller solche überhaupt noch baut. 

Allzeit gutes Licht
Sven

Sven Gerard

Sven Gerard, Jahrgang 1969, geboren und aufgewachsen in Berlin. Er fotografiert seit frühester Jugend mit großer Leidenschaft. Neben dem fotografischen Erkunden zahlreicher beeindruckender verlassener Orte, widmet er sich seit mittlerweile 10 Jahren intensiv dem Lightpainting. Sein umfangreiches Wissen teilt er auf seinem Blog „Lichtkunstfoto.de“, weiteren Publikationen und in seinen Workshops. Darüber hinaus organisiert er Veranstaltungen zum Thema Lightpainting, wie „Light Up Berlin“. Gerard lebt gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin in Berlin und hat einen erwachsenen Sohn. Sven Gerard was born in 1969 and grew up in Berlin. He has been a passionate photographer since his early youth. In addition to photographically exploring numerous impressive abandoned places, he has been intensively involved in light painting for 10 years now. He shares his extensive knowledge on his blog ‘Lichtkunstfoto.de’, other publications and in his workshops. He also organises events on the subject of light painting, such as ‘Light Up Berlin’. Gerard lives in Berlin with his partner and has a grown-up son.

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